
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz verbreitet sich in Redaktionen weltweit. Dabei geht es nicht nur um Automatisierung, sondern vor allem um die Unterstützung journalistischer Arbeit, das effizientere Verarbeiten großer Datenmengen und die Verbesserung von Recherche- und Produktionsprozessen. Große Medienunternehmen wie New York Times, Financial Times, dpa und Reuters haben jeweils eigene Strategien entwickelt, um den Einsatz von KI sinnvoll und verantwortungsvoll zu gestalten.
1. New York Times: KI als Erweiterung menschlicher Kreativität
Die New York Times setzt KI seit 2024 verstärkt ein, nachdem sich generative KI-Modelle deutlich weiterentwickelt haben und qualitativ hochwertige Ergebnisse liefern. Dabei steht außer Frage, dass KI nicht als Ersatz für journalistische Arbeit gesehen wird. Vielmehr versteht die Redaktion KI als ein Werkzeug, das die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten ergänzt und unterstützt.
Hierfür gibt es verbindliche Prinzipien für die Nutzung von generativer KI innerhalb der Redaktion. Sie basieren auf drei Grundsätzen:
- KI wird nur als Hilfsmittel im Dienst der redaktionellen Mission verwendet
- Jede Anwendung erfolgt unter menschlicher Anleitung und redaktioneller Prüfung
- Der Einsatz geschieht transparent und im Einklang mit ethischen Standards
Diese Prinzipien wurden unter der Leitung von Zach Seward, dem Editorial Director for A.I. Initiatives, entwickelt. Die konkreten Anwendungsbereiche in der Redaktion sind vielfältig. KI wird eingesetzt, um Bilder zu analysieren und zuzuordnen, verwandte Artikel vorzuschlagen, Überschriften zu entwerfen und Texte zusammenzufassen.
Die Times betont ausdrücklich, dass KI keine kreative Eigenleistung ersetzt, sondern lediglich redaktionelle Prozesse unterstützt. Leserinnen und Leser sollen zudem nachvollziehen können, wie Inhalte entstanden sind. Wenn KI in bedeutendem Umfang zum Einsatz kommt, werden potenzielle Risiken wie Verzerrungen oder inhaltliche Fehler durch menschliche Kontrolle minimiert.
2. Financial Times: Aufbau von KI-Kompetenz als Teil der Unternehmenskultur
Die Financial Times setzt auf einen umfassenden Ansatz zur Integration von KI im Unternehmen. Seit Anfang 2024 werden Mitarbeitende aktiv geschult, um KI zielgerichtet in ihre täglichen Arbeitsprozesse einzubinden. Hierbei erhalten alle Zugang zu Tools wie ChatGPT Enterprise und Google Gemini. Ziel ist es, die Effizienz zu steigern, kreative Prozesse zu fördern und gleichzeitig eine fundierte, kompetente Auseinandersetzung mit den neuen Technologien zu ermöglichen.
Zur Unterstützung wurden mehrere interne Formate eingeführt:
- Schulungen und Trainingsprogramme für verschiedene Abteilungen
- Ein wöchentlicher Newsletter mit konkreten Anwendungstipps für KI im Arbeitsalltag
- Ein „AI Fluency Quiz“, mit dem Mitarbeitende ihren KI-Wissensstand selbst evaluieren können
- Ein AI Skills Framework, das die Entwicklung individueller Kompetenzen unterstützt
- Die Etablierung einer spezifischen Rolle als AI Fluency Lead, um den Einsatz von KI systematisch zu begleiten und interne Workflows zu gestalten
Auch bei der Financial Times steht der ethische Umgang mit KI im Vordergrund. Die interne Sensibilisierung soll das Bewusstsein für Möglichkeiten und Grenzen der Technologie schärfen. Die Redaktion strebt eine dauerhafte, verantwortungsvolle Integration von KI in die Arbeitsprozesse an.
3. Deutsche Presse-Agentur (dpa): KI für effiziente Recherche und Faktenchecks
Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) setzt Künstliche Intelligenz (KI) in mehreren zentralen Bereichen ein und verfolgt dabei eine kontinuierliche, verantwortungsvolle Entwicklungsstrategie. Bereits seit Jahren nutzt die dpa KI-Technologien, etwa zur automatisierten Erstellung von Termineinträgen für Datenbanken, zur Unterstützung bei der Bildersuche sowie beim Einsatz von Transkriptionstools.
Im Jahr 2025 erweiterte die Agentur ihr Portfolio um einen neuen KI-Rechercheassistenten für den internen News-Hub. Das System basiert auf dem Prinzip der Retrieval-Augmented Generation (RAG), greift ausschließlich auf eigene Inhalte zu und liefert statt klassischer Linklisten kompakte, KI-generierte Zusammenfassungen inklusive Quellennachweis. Ziel ist es, Redaktionen eine schnellere und gleichzeitig verlässlichere Recherche zu ermöglichen. Entwickelt wurde das System in Zusammenarbeit mit einem US-Technologieunternehmen. Die Anwendung soll dabei helfen, Auswertungen aus News- und Archivmaterial zeitsparend und ressourcenschonend umzusetzen.
Neben der technischen Entwicklung engagiert sich die dpa auch stark im Bereich Weiterbildung. So war sie Partner im staatlich geförderten Programm „Wegweiser KI“, das durch Workshops, Mentoring und Trainings fast 500 Medienschaffende für den Einsatz von KI im Journalismus qualifizierte.
Darüber hinaus hat die dpa fünf KI-Guidelines definiert, die den ethischen Rahmen für den KI-Einsatz im Unternehmen bilden. Dabei steht fest: Menschliche Kontrolle, journalistische Verantwortung sowie Transparenz und ethische Standards haben stets oberste Priorität.
4. Reuters: Skalierbare Automatisierung mit redaktioneller Kontrolle
Reuters nutzt KI bereits seit vielen Jahren, insbesondere im Bereich der Wirtschaftsmeldungen. Dabei stehen Schnelligkeit, Datenmenge und redaktionelle Verlässlichkeit im Fokus. Heute werden monatlich über 1000 Wirtschaftsinformationen automatisiert veröffentlicht, ergänzend zur manuellen Arbeit der Redaktion.
Zu den aktuell eingesetzten Technologien zählen:
- Automatisierte Alerts zu Unternehmensgewinnen, Managementwechseln oder Marktanalysen
- Der Einsatz von Website-Watching-Tools, die auf neuen Veröffentlichungen basieren und sofort eine automatisierte Verarbeitung auslösen
- Maschinelle Erstübersetzungen von Nachrichteninhalten zur Förderung der Mehrsprachigkeit innerhalb der Redaktion
Für die Zukunft plant Reuters weiterführende KI-Einsätze, vor allem im Bereich generativer KI, wie:
- Personalisierte Suchen und Benachrichtigungsdienste
- Automatisierte Unterstützung bei der Verifikation von Quellen und Informationen
- Vereinfachung und Optimierung bestehender Workflows in Redaktion, Analyse und Kundenservice
- Verbesserung datengetriebener Werbelösungen und individualisierter Inhalte
Bei allen Prozessen bleibt die menschliche Verantwortung zentraler Bestandteil der Redaktion. Die Prüfung automatisierter Inhalte erfolgt weiterhin über Redaktionsteams.
Somit verbindet Reuters moderne Technologie mit traditionellen Standards an journalistischer Integrität.
5. Weitere Beispiele
Auch auf den Kundentagen von ppi Media, die in diesem am 30. Juni und 01. Juli in Hamburg stattfanden, wurde deutlich, welche Rolle der Einsatz von KI international im Redaktionsalltag bereits spielt. So konnten die Anwesenden hier unter anderem spannende Vorträge von Anup Gupta, Managing Editor der Hindustan Times, und Maximilian Bruhn, Head of GenAI bei der FAZ, erleben, die Praxisbeispiele aus ihren Unternehmen teilten.
Anup Gupta berichtete in seinem Vortrag „Harnessing AI, Preserving Trust – Writing Tomorrow’s Story Today“, wie bei der Hindustan Times KI gezielt als Werkzeug eingesetzt wird, um den Journalismus zu unterstützen, ohne das Vertrauen der Leserschaft zu verlieren. Er hob dabei hervor, dass Kreativität immer einen menschlichen Ursprung hat und KI nur als unterstützendes Tool betrachtet wird. Er zeigte unter anderem Beispiele, wie bei der Hindustan Times KI zur Generierung von Grafiken und Bildmaterial genutzt wird.
Maximilian Bruhn wiederum gab spannende Einblicke in die Nutzung generativer (agentischer) KI bei FAZ. Dort wird KI als intelligenter Redaktionspartner eingesetzt: Sie übernimmt Rechercheaufgaben, führt Fehlerkorrekturen durch und unterstützt die Redaktion als sogenannte research agents im Arbeitsalltag. Auch bei der F.A.Z. stehen dabei menschliche Qualitätskontrolle und Transparenz im Vordergrund.
Fazit
Medienhäuser setzen KI bereits gezielt ein, um Prozesse zu vereinfachen, Recherchen zu vertiefen und Inhalte besser auffindbar zu gestalten. Trotz unterschiedlicher Anwendungsfelder folgen alle Organisationen den gleichen Grundprinzipien: Technologie wird da eingesetzt, wo sie konkrete Unterstützung liefert, bleibt aber hinter journalistischer Aufsicht eng eingebettet. Generative KI, natürlichsprachliche Suchsysteme und automatisierte Auswertungen sind Teil einer neuen, datengetriebenen Medienrealität. Doch Kreativität, Verantwortung und ethische Abwägung bleiben fest in menschlicher Hand.